Archiv für März 2012

Abstand vom Mainstream

‚Distar‘, Spanisch für ‚verschieden sein‘ oder ‚von etwas Abstand nehmen‘. Oder der Bandname von fünf jungen Progressivrockern aus Wiesbaden. Verschieden sind die Mitglieder des jungen Quintetts, sowohl untereinander als auch im Vergleich mit anderen Musikgruppen. „Von Beginn an war klar, dass wir nicht covern wollen,“ erklärt Gitarrist und Sänger Lukas Gorris, aus dessen Duo mit Keyboarder Konstantin Wenning schließlich die fünfköpfige Band ‚Distar‘ entstand.

Durch den starken Willen der Jungs ihre Songs selbst zu schreiben dauerte es einige Zeit, bis ein konzerttaugliches Repertoire entstanden ist. Etwa zwei Jahre Probenzeit und Songwriting dauert es, bis die Musiker erstmalig auftraten. „Es war ein langwieriger Prozess,“ reflektiert Schlagzeuger Raphael Sturm, „denn wir waren und lange nicht einig.“ Sein Bandkollege Konstantin fügt hinzu:“ Man sagt ja, dass demokratische Bands nicht funktionieren. Aber bei uns klappt das!“

Ihr erstes Konzert, so erinnert sich Wenning „hat uns selbst überrascht.“ Auf einem Bandcontest in Limburg überzeugten sie die Jury mit ihrer, wie sie es selbst nennen, „gewöhnungsbedürftigen Musik.“ Gewöhnungsbedürftig deshalb, da sie fernab von Mainstream ist und hauptsächlich auf der Liebe zur Musik basiert. Drummer Raphael beschreibt ihre Musik humorvoll als „das Gegenteil von Hintergrundbeschallung. Man kann ‚Distar‘ nicht beim Bügeln hören.“ Der zwanzig Jahre alte Konstantin Wenning umschreibt den Zugang zu ihrer Musik detaillierter: „Man muss sich warmhören und darauf einlassen.“ Dabei haben die fünf Jungs nie um des Kompliziertseinwillens bewusst festgelegt, „komplizierte“ Musik zu machen. Laut Wenning, dem angehenden Psychologiestudenten sei diese Entwicklung aus einem Bauchgefühl enstanden. Eine Bewegung hinter der auch seine Kollegen stehen. Jedes Stück, so erläutern sie durchlaufe einen Entstehungsprozess, den der Hörer unmittelbar nachvollziehen könne. Deshalb dauern ihre Kompositionen nicht nur übliche drei Minuten, sondern erstrecken sich gut und gerne über eine Viertelstunde. „Wir hören selbst Musik aus dem Genre des Progressiv- und Postrocks und schätzen Detailreichrum sehr,“ sagt Lukas Gorris und ergänzt breit grinsend: „deshalb macht es uns auch großen Spaß kleine Details in unseren Liedern zu verstecken.“

Um die Magie der Musik erhalten zu können, habe sich der blonde 19jährige bewusst entschieden, sein liebstes Hobby als solches zu bewahren: „Ich spreche da für alle von uns.“ Sein Schulfreund Konstantin erläutert gemäß seines angestrebten Studienfachs: „Die Musik dient als Transmitter zwischen der Außenwelt und dem Ich. Sie stellt eine Parallelwelt dar, die möglichst nicht von äußeren Einflüssen beeinträchtigt werden soll.“ Zur Vermittlung ihrer Musik nutzt das Quintett, das neben Raphael, Konstantin und Lukas auch aus Bassist Pascal „Palle“ Fey und Gitarrist Viktor Alexander besteht, nahezu ausschließlich den Klang ihrer Instrumente. „Es kommen zwar immer wieder einzelne Textpassagen vor, aber im Vordergrund steht der instrumentale Aspekt.“

Derzeit sind die Musiker damit beschäftigt in Eigenregie ihr erstes Album aufzunehmen, doch noch ist kein Titel gefunden, mit dem das Kollektiv einverstanden ist. Konstantin erklärt lachend: „Wir sind vertrackte Perfektionisten. Alle!“  Das Album, so sind sich die fünf Musiker einig solle den Abschluss eines ereignisreichen Jahres bilden. „Unser persönliches Highlight war der Auftritt mit der Band ‚Hirsch-Effekt‘“, erinnert sich Raphael. Und auch das kommende Konzert mit der US-Band „If these trees could talk“ wird ihnen sicher in guter Erinnerung bleiben, bevor sich die Wege der Jungs bedingt durch das Studium trennen.  Ihre Zukunft hänge von Zu- und Absagen der Hochschulen ab, aber trennen werden sie sich deshalb nicht.

Lukas Gorris sieht den Vorteil der Verstreuung der Mitglieder: „Dann haben wir in vielen Städten Anlaufstellen und können unser Netzwerk erweitern.“

Kunst kommt von Können

Kunst kommt von Können

Künstler zu kennen,

kennenlernen können

könnte man nennen:

Kunst kommt von Können

Sich trauen zu können

Benennen und trennen

Mitdenken können.

Gedanken die brennen,

fühlen zu können

anderen gönnen

verstehen zu können:

Kunst kommt von Können!

Kannst du benennen

Wo viele verrennen

Den Künstler zu kennen

Und Kunst zu können.

Träumen können.

Denken können.

Kunst ist Können.

Ein Beruf mit Rentnercharme

Ja, die Oper hat einen gewissen „Rentnercharme“, das gibt auch Fabian Grimm ohne Zweifel zu. Der 21jährige ist nicht nur ein passionierter Opernbesucher, sondern studiert im angehenden vierten Semester Opernregie in Hamburg. Dass es ihn nach dem Abitur in die Hansestadt führen sollte, wusste er bereits früh, was er dort allerdings machen würde, war lange Zeit unklar. Regie sollte es sein, aber was er nach dem Studium anleiten würde, wusste er noch nicht. Eine einjährige Hospitanz im Wiesbadener Staatstheater brachte die Erleuchtung. Schon nach seiner ersten Produktion im Jahr 2010, Verdis Falstaff, fiel der Groschen: „Das ist es“, ging ihm durch den Kopf. „Meine Entscheidung verdanke ich definitiv Opernregisseur Christian Spuck,“ erinnert sich Grimm an das entscheidende Moment seines Werdeganges.  „Ich war schon immer interessiert an Oper und habe natürlich auch die Klassiker gesehen. Aber der besondere Reiz liegt in Non-Mainstream Produktionen,“ erklärt der junge Mann seine Vorliebe. Zeitgenössisch, modern, avantgardistisch sollen seine Produktionen einmal sein.

Dabei ist nicht nur die Tätigkeit als Regisseur im Fokus seines Bestrebens, sondern auch die Liebe zu Musik und Gesang. Schon im frühen Kindesalter wurde der kleine Fabian durch den Kinderchor des Staatstheaters an die Musik herangeführt. „Oper war für mich immer normal,“ reflektiert der gebürtige Wiesbadener, „ich habe mir ehrlichgesagt nie darüber Gedanken gemacht, warum es Spaß macht.“

Das ihn Musik schon immer sehr mitreißen konnte, erklärt eine Erinnerung Grimms an die Zeit im Kinderchor: „Ich war damals einer der Engel in ‚Hänsel und Gretel‘, weil ich aber so fasziniert von der Musik war, habe ich vergessen von der Bühne abzugehen und stand dann ein wenig verloren auf der Bühne im großen Haus herum.“ Auch heute noch ist die Musik für den ehemaligen Chorknaben ein sehr wichtiges Kriterium. Im Rahmen seines achtsemestrigen Studiums bekommt er nicht nur Anleitungen zur szenischen Umsetzung und Interpretation der Musikstücke, sondern auch Gesangsunterricht speziell für Regisseursanwärter. „Das ist sehr wichtig um den Spagat zwischen Szenerie und Gesang gut umsetzen zu können,“ erklärt Fabian Grimm. Es sei ein immerwährender Konflikt des Musiktheaters die szenischen Vorstellungen des Regisseurs mit den gesanglichen Fähigkeiten der Darsteller zu vereinbaren.  So lernt er in den Gesangsstunden die Grenzen der menschlichen Stimme kennen, in dem er singend Trampolin springt oder in Kampfszenen am eigenen Leib erfährt, bis zu welcher physischen Belastung die Stimme noch ausreichend zur Geltung kommt. „Ein Sänger“, so weiß Grimm, „muss singen, darauf muss Rücksicht genommen werden.“

Auch in seinem kürzlich abgeschlossenen Projekt, einer Inszenierung des zweiten Aktes von Carl Maria von Webers Freischütz, sah sich der Student vor einer solchen Herausforderung. In der tragenden Szene der „Wolfsschlucht“ sollte Samiels Macht über Max durch einen Tritt in den Rücken des auf dem Boden liegenden Max‘ dargestellt werden. Nur wie kann ein zu bodengeprügelter mit einem Stiefel im Rücken noch wie verlangt singen? Ohne die bedrohliche Atmosphäre aufheben zu müssen gelang auch diesmal der Spagat.

Denn Atmosphäre, darauf besteht der junge Künstler, dürfe niemals gestört werden. „Oper muss an die Hand nehmen und den Zuschauer in eine Welt führen, die er nicht mehr verlassen will,“ beschreibt Grimm seine Definition des Musiktheaters. Der Zuschauer, wünscht sich Grimm, dürfe nicht abschalten wollen wie ein Fernsehprogramm.

„Als Regisseur muss man eine Atmosphäre schaffen. Die muss nicht immer schön sein, aber berühren.“

Die Umsetzung dessen sowie den Einsatz multimedialer Elemente beschreibt der dunkelhaarige Student als seine persönliche Handschrift, die, so betont er, natürlich noch nicht gänzlich ausgereift sei. „Ich experimentiere gerne rum und arbeite viel mit Geräuschkulissen, was sich teilweise von anderen Regisseuren abhebt,“ erläutert er seine Vorgehensweise. Dabei verläuft für ihn das Herantasten an ein neues Projekt stets nach dem gleichen Muster: Text, Musik, Idee.

„Oper an sich ist nie ein Austausch von Banalitäten, deshalb könnte sie gesprochen nie den gewünschten Effekt erzielen,“ sagt Grimm kritisch. „Im Gesang macht jede Note, jedes Thema oder Motiv Sinn. Deren Emotion wiederum überträgt sich auf die Komposition. Beides kombiniert steckt voller Inhalt.“ Musik, so fährt er fort, zeige mehr als Worte. Deshalb, so weiß der Musikinteressierte sprächen Opernsänger in Textpassagen auch mit dem Timbre des klassischen Gesangs. „Die Sprechstimme ist durch den langjährigen Unterricht so verformt, dass es den Sängern schwer fällt ‚normal‘ zu sprechen.“

„Der Kehlkopf“, so fügt er hinzu, „ist automatisch geöffnet.“ Viele singende Darsteller müssten darum wieder trainieren diesen zu spielen, um beim Sprechen auf der Bühne nicht mehr zu klingen „als hätte man eine heiße Kartoffel im Rachen,“ wie es der lebensfrohe Grimm bezeichnet.

Das er mit der Wahl des Opernregie-Studiums glücklich ist, merkt man ihm sofort an: „Oper macht süchtig!“

 

 

 

 

 

 

 

Das ist der „Brülla“

Mit betrübten Minen strömen die Zuschauer aus der Brita Arena. Die Enttäuschung über die 0:1 Niederlage des SV Wehen Wiesbaden steht ihnen in die Gesichter geschrieben. Kein einfacher Arbeitstag für Stadionsprecher Tobias Radloff. Der, wie bei jedem anderen Heimspiel des Drittligisten, für die nötige Stimmung und Unterstützung auf den Rängen sorgte. „Ist das Stadion ausverkauft kommt die Stimmung von alleine,“ berichtet der 25jährige aus Erfahrung, „aber die aktuelle Herausforderung besteht darin, die leider oftmals leeren Ränge zu motivieren.“ Seit anderthalb Jahren ist Radloff der Mann am Mikrofon im Stadion an der Berliner Straße. Der Volontär, der bereits seit seinem zehnten Lebensjahr kleinere und auch größere Veranstaltungen moderiert, kommentiert und gestaltet rutschte eher zufällig in die Rolle des Stadionsprechers.

Als Hallensprecher beim Volleyball Club Wiesbaden (VCW)  sammelte er erste Erfahrungen als Sprecher im Profisport. Seine Stimme kennt der aufmerksam zuhörende Fußballfan aber auch vom Publicviewing im Helmut-Schön-Park und den Großveranstaltungen in der Brita-Arena. Dort unterhielt der Wiesbadener im 2010 auch das fußballbegeisterte Publikum während der Übertragungen der Weltmeisterschaft aus Südafrika. Der ehemalige Stadionsprecher Lothar „Lothi“ Pohl machte grade Urlaub und Radloff sollte seine Vertretung sein. Die Arbeit gefiel Radloff, die Stimmung gefiel den Zuständigen und Radloff wurde als Pohls Nachfolger bestimmt. Der Schlüssel zum Erfolg sei vor allem das Talent Emotionen zu wecken und zu übertragen. „Wenn sich im Team auf dem Platz eine Dynamik entwickelt, muss ich das aufgreifen und auf das Publikum übertragen,“ erläutert er.

Um dies zu erreichen hat der „Brülla“, wie er genannt wird, lediglich seine Stimme zur Verfügung. „Ich muss diesen gewissen Stadion-Klang haben und kraftvoller sprechen als beispielsweise in einem normalen Gespräch.“  Um allerdings beim ‚Brüllen‘ die Stimme nicht zu verlieren braucht der junge Wiesbadener viel Wasser während der 90 Minuten „und Bad Emser Salze.“

Radloff habe mit der Zeit gelernt sei es auch wichtig „im richtigen Moment mal die Klappe zu halten.“ Auch wenn das der selbsternannten Quasselstrippe nicht immer leichtfällt. Er weiß  aus eigener Erfahrung: „Fußballfans sind sehr emotional und lassen sich ungern vom Sprecher was vorgeben. Da muss ich auch realistisch bleiben und kann bei starker Rücklage kurz vor Abpfiff nicht nochmal volle Motivation fordern.“ Doch die Erwartungen an ihn seien oft auch hoch gesteckt. Neben einer motivierenden und unterstützend anfeuernden Instanz sähen viele auch einen „letzten Fels in der Brandung“ in ihm, einen Trost- und Hoffnungsspender. „Das ist eine Gradwanderung, die mir noch nicht immer ganz gelingt,“ gibt Tobias Radloff zu, lässt sich von diesem Eingeständnis aber nicht entmutigen. „Ich bin nach anderthalb Jahren zwar noch nicht so gut angekommen, wie ich es mir zu Beginn gewünscht hätte, aber ich sehe mich auf dem besten Weg.“ Auf dem besten Weg mit seiner Stimme arbeiten zu können befindet er sich seit Anfang der 90er Jahre. Spätestens seit er im Zuge einer Miniplaybackshow alle Teilnehmer an die Wand moderierte weiß der junge Mann, der abseits seines Arbeitsplatzes auch gerne dem FC Bayern München die Daumen drückt, „dass ich quasseln kann. Heute verdiene ich mein Geld damit.“ Nicht nur im Stadion, auch bei „Radio Rockland“, wo der junge Mann sein Volontariat absolviert. „Da muss ich mich seriöser geben, wenn ich zum Beispiel die Nachrichten sprechen muss.“ Doch auch wenn ihm die verschiedenen Bereiche des Radios gut gefallen sieht Radloff seine eigenen Stärken im Gebiet des Entertainments und verkündet breitgrinsend: „Dafür bin ich gemacht. Ich hab Bock zu unterhalten und ich weiß, dass ich das rocken kann!“

Jeder Mensch kann singen lernen

„Ja, ich schaue ab und an auch Castingsendungen im Fernsehen und habe seither das Gefühl, dass sich in Deutschland etwas verändert hat,“ gesteht Nanni Byl grinsend und erklärt ihre Beobachtungen: „Die Sangesfreude in der Bundesrepublik hat zugenommen!“ Das freut die passionierte Musikerin und Gesangslehrerin besonders, denn sie vertritt schon lange die Devise, dass jeder Mensch singen lernen kann. Entsprechende TV-Formate, so sagt sie, zeigen die persönliche Entwicklung der Kandidaten und ermutigen die Zuschauer selbst stimmlich aktiv zu werden. „Es geht der Geist: Entweder man kann singen, oder man kann es eben nicht. Das ist falsch.“ Es würde oft vergessen, dass guter Gesang nicht äquivalent zu einem speziellen Typ Stimme zu werten ist. Die gebürtige Hannoveranerin erklärt: „Es gibt verschiedene Typen des ‚guten Gesangs‘: Charakteristische Züge, die gefallen, starker Ausdruck, vollkommene Kontraste oder aber eine einzigartige Stimmfarbe.“ All diese Elemente haben eine gewisse Qualität inne, man müsse allerdings lernen, sie situationsspezifisch einzusetzen.

An den meisten Merkmalen, so Byl, könne man arbeiten. Am auffälligsten, stellte sie mit den Jahren fest, seien die Hemmungen vieler Menschen, ihrer Stimme Ausdruck zu verleihen. Laut der Wahl-Wiesbadenerin könne dies viele Ursprünge haben. Neben Schüchternheit sei dabei fehlende Selbstsicherheit ein entscheidender Punkt. Vor allem diese kann man gezielt trainieren und wird schon nach kurzer Zeit erste Erfolge feststellen können. „Zunächst muss man lernen laut zu singen,“ erklärt die studierte Popsängerin, „zum Beispiel unter einer Eisenbahnbrücke.“ Ein beliebtes Unterrichtsmittel der Musikerin ist das Spiegeln. Das Spiegeln, in Form von Audioaufnahmen, findet vornehmlich Verwendung um dem Schüler die eigene Stimme und deren Wirkung bewusst zu machen. „Zu viele Menschen,“ weiß Byl, „haben eine tröge oder langweilige Sprechstimme. Mit Hilfe der Aufnahmen kann man gezielt hören und gemeinsam feststellen, was man verändern muss.“

Der Ursprung des Gesangs liegt nämlich vorrangig im Sprechen, denn das Singen ist gewissermaßen eine Übertragung der menschlichen Stimme auf den musikalischen Gebrauch. „Auch wem es schwerfällt vor großen Menschengruppen frei zu sprechen, können diese simplen Übungen helfen,“ sagt Nanni Byl ermutigend.

Abseits des Gesangsunterrichts hat sich Nanni Byl vollkommen der Musik verschrieben. Sie singt selbst in vier Bands, darunter die bekannte Wiesbadener Coverband „Night Birds“, hat einen Lehrauftrag für Jazzgesang in Mainz inne und unterstützt neben Privatschülern auch diverse Chöre in Workshops zum Thema Stimmbildung und Improvisation.

Ihr musikalischer Werdegang beginnt im zarten Alter von drei Jahren mit musikalischer Früherziehung und dem kurz darauf folgenden Eintritt in einen Kinderchor. „Mit zehn oder elf Jahren habe ich zum ersten Mal mit einem Mikrofon vor Publikum gesungen und habe viel positive Resonanz bekommen.“ Da habe sie erstmalig mit dem Gedanken gespielt, Musik zu studieren. Nach dem lange Zeit das Mathematik-oder Medizinstudium vermeintlich bessere Alternativen darstellten, entschied sie sich nach dem Abitur, mit Anfang zwanzig, allerdings doch zunächst für ein Rhytmikstudium in Hannover um anschließend in den Niederlanden Popgesang zu studieren. „Die Bedingungen in Deutschland waren damals sehr schlecht. Im Vergleich hat sich heute schon vieles verbessert,“ freut sich die Sängerin.

„Damals freute ich mich in Hilversungen endlich das machen zu können, was ich von ganzen Herzen wollte. Und heute bin ich sehr froh, dass es doch nicht Medizin wurde!“

Er wollte nie Geige spielen, aber…

Colja Carls wollte gerne eine Vielzahl Instrumente spielen können – bis er herausfand, dass es mit der Stimme leichter ist. Anstatt sich hinter ein Schlagzeug zu setzen oder die Geige in die Hand zu nehmen imitiert er gemeinsam mit seiner Vocal-Pop-Band „Soundslike“ lieber deren Klänge.

Einer Erklärung für den Namen der Band bedarf es wohl kaum. Hört man die Musik der fünfköpfigen Vocalband aus Wiesbaden denkt man sich: „Das klingt doch wie…“

Das klingt wie eine Band mit viel instrumentalem Equipment und darüber hinaus tragenden Gesangsstimmen. Wer jedoch näher hinsieht und vor allem hinhört wird schnell feststellen: „Das klingt nur wie“, denn als einziges Instrument verwenden die passionierten Musiker von „SoundsLike“ ihre Stimmen.

Die fünf Sänger imitieren bei weitem keine Klänge mehr, sie sind schon eins geworden mit den Instrumenten. Um sich vom „eingestaubten“ Begriff des „a capella“ und auch dem Vergleich mit anderen Stimmkünstlern zu distanzieren manifestiert Carls : „Wir sind weder die ‚Comedian Harmonists‘ noch die ‚Wise Guys‘, „Sicher haben wir unsere Vorbilder“, ergänzt er, „aber wir kopieren nicht.“ Allerdings kann man diese bekannten Gruppen als Auslöser für den musikalischen Werdegang des Hobbymusikers bezeichnen, denn  Colja Carls, der von Kindertagen an viel Umgang mit Musik hatte, ließ sich vom traditionellen A capella-Gesang inspirieren und gründete schließlich im Jahr 2008 die Gruppe „SoundsLike“.

Die Arrangements zur Perfektion des harmonischen Einklangs der einzigartigen Stimmen stammen aus der Feder des Gründervaters selbst. Zu Beginn des Entstehungsprozesses stehe stets die Suche nach der „besonderen Charakteristik“ eines Titels. „Ich muss mich selbst fragen, warum ich diesen Titel mag ; und was ihn ausmacht.“  Diese Suche nach dem gewissen Etwas bilde allerdings auch die größte Hürde, denn nicht jedes markante Merkmal lässt sich mit der bloßen Stimme imitieren.

Zum Suchen und Finden der Eigenschaften bedarf es viel Erfahrung und Geduld, wie Carls lachend erläutert: „Man muss viel experimentieren um dann auf einmal den ‚Aha-Effekt‘ zu erleben.“ Um alle Arrangements auf die individuellen Stimmen notieren zu können, hat er während des beschriebenen Entschlüsselungsprozesses stets die Stimmen seiner Bandmitglieder im Ohr. „Nur so,“ stellt er klar, „wird es wirklich unser Ding.“ Abseits seines Studiums der Informatik in Mainz hat sich der 27-Jährige mit Stimmbildung und Gesangstechniken beschäftigt. „Vor allem die Berücksichtigung von Atempausen ist bei dieser Form des Singens wichtig,“ erklärt der Sohn eines Musikpädagogen.

Selbst die Richtung des Berufsmusikers einzuschlagen war dabei für Carls nie ein längerfristiges Ziel. „Nachdem der Traum vom Krankführer verworfen war habe ich schon mit dem Gedanken gespielt das Hobby zum Beruf zu machen. Aber dann bekam ich Angst den Spaß an der Musik verlieren zu können.“

Für Colja Carls, den autodidaktischen Beatboxer ist „dieses ganz spezielle Feeling“, wie es beschrieben wird der Hauptbeweggrund, ganz ohne die Verwendung von Instrumenten zu singen. „Die Stimme“, so fährt der Student fort, „ist die direkteste Art Musik zu machen und gleichzeitig auch das stärkste und emotionalste Instrument.“  Um dieses Instrument in seiner Leistungsfähigkeit zu erhalten braucht es neben dem regelmäßigen Üben auch einige kleine Tricks im alltäglichen Umgang. Neben Nüssen, deren Säure die Stimmbänder angreifen kann, versucht Carls in seiner Ernährung auch auf verschleimende Milchprodukte zu verzichten. „Früher habe ich explizit darauf geachtet. Heute verzichte ich automatisch darauf“, um weiterhin kraftvoll und sicher singen zu können.

Er, der damals die Gruppe gründete ist es auch, der nicht nur abseits der Bühne sondern auch darauf den Takt vorgibt, denn er ist der Mann an den Vocalpercussions. Die nahezu perfekte Mimesis Carls’ Rhythmusinstrumente im Zusammenspiel mit  Gitarrenklängen, Klaviertönen, Streichern und natürlich der einmaligen Stimmen aller Bandmitglieder und dem somit provozierten „Band Sound“ ist

Dieser Effekt wird zusätzlich verstärkt durch eindeutig instrumentierende Gestik, wie das Schlagen eines fiktiven Beckens oder dem Blasen und Ziehen einer bildhaft vorstellbaren Mundharmonika.  Aber auch Effektgeräte unterstreichen den authentischen Klang, „was nicht heißt, dass etwas vom Band kommt: Das sind unsere Stimmen und wenn wir den Ton verhauen, hört man das auch. Die Effekte verwenden wir wie auch ein Gitarrist beispielsweise einen Verzerrer einsetzt.“

Neben seiner Paradedisziplin, den Vocalpercussions, verleiht Colja Carls, der in hoch konzentrieren Phasen auch mal unbewusst beatboxt, gerne seine Stimme der Mundharmonika und der Violine. Breitgrinsend erkennt er: „Ich wollte nie Geige spielen, aber sie singen.“

 

 

 

 

 

 

 

Vielseitigkeit als Aushängeschild

„Das Schwätzen“ nennt Linus Kraus seine Tätigkeit. Nicht Sprechen, nicht Synchronisieren, nicht Vertonen. Nein, „das Schwätzen“ ist sein Beruf. Er schwätzt seit 1996, doch das kam alles andere als geplant. „Ich wurde von Null auf Hundert zur Sat 1 Trailervoice als mich ein guter Freund, der beim Sender arbeitete, bat einzuspringen,“ erzählt der Sprecher von den Anfängen seines Lebens als Sprecher. Der Fernsehsender suchte damals vor allem einen „Sprecher, der kein gelernter Sprecher ist.“

Der 43 Jährige glaubt nicht an Zufälle. „Diese absolute Fügung hat da oben jemand für mich geplant.“ Linus Kraus, der zu jenem Zeitpunkt im sechsten Semester des Architekturstudiums steckte, nachdem er zuvor bereits mehrere Richtungen ausprobiert hatte, kam diese Möglichkeit sehr entgegen. Zunächst genoss er diesen traumhaften Nebenjob, „dann habe ich das Studium geschmissen. Meine Frau hat auch Architektur studiert und mit zwei arbeitslosen Architekten im Haus sah er seine Zukunft nicht.“Linus Kraus

Kraus spricht in verschiedenen Sparten: TV- und Rundfunkwerbung, Hörspiele und Computerspiele. Dabei liegen ihm sogenannte Trickstimmen besonders am Herzen. „Klar spielt man beim Sprechen immer eine Rolle: Mal die des Marktschreiers, mal die des seriösen Erzählers. Aber mit Trickstimmen kann ich einer Figur einen ganz eigenen Charakter geben“, berichtet Kraus und spricht fortan mit einer sehr hohen, niedlichen Stimme, während er glaubhaft erzählt er sei ein Vögelchen das auf einem Ast sitzt und die Welt beobachtet, wobei Körper, Mimik und Gestik diese Vorstellung untermalen. Wer denkt, dass Sprecher nur auf einem Stuhl im Radio sitzen und drei Sätze vom Blatt ablesen täuscht sich. „Ich schlüpfe in eine Rolle und verinnerliche sie komplett. Ich habe nur meine Stimme zum Vermitteln eines Charakters oder einer Idee und muss diesen auch physisch übertragen, damit die Wirkung komplett ist,“ erzählt der vielseitige Sprecher begeistert von seiner Arbeit und fügt lachend hinzu: „Das Grinsen muss in der Sprecherkabine so breit wie möglich sein, damit es am Ende glaubhaft ist. Wenn ich darüber nachdenke, bin ich schon froh, dass man mich nur hören, aber nicht sehen kann.“ Das könne, laut Kraus, oftmals anstrengend sein – sowohl für das Gemüt als auch für die Stimmbänder: „Ich habe nur diese eine Stimme, die mein Einkommen garantiert. Darauf muss ich gut aufpassen.“  Mütze und Schal sind in den Wintermonaten Pflicht. „Es gibt Tage an denen ich viele Aufträge hintereinander Spreche“, da kommt es schonmal vor, dass sein zweieinhalbjähriger Sohn Lennart auf das abendliche Vorleseritual verzichten muss. „Mein Sohn hört dann auch, dass der Papa nicht mehr so spricht wie sonst, dann verlangt er von allein nach seiner Mama,“ erzählt der zweifache Vater Trotzdem der gebürtige Wiesbadener täglich mit dem Facettenreichtum der Werbung zu tun hat, ist er ihrer nicht müde geworden. „Ich schalte Werbung grundsätzlich nicht ab. Ich höre immer genau hin!“  Dabei achte er vor allem auf Feinheiten und versucht, durch das hören zu lernen. Wie auch zu Beginn seines beruflichen Werdeganges. „Learning by Doing“ lautete seine Devise. Mit Erfolg. „Ein halbes Jahr lang habe ich mit Nachrichtensprecher Elmar Bartel Texte von Erich Kästner rezitiert. Dann wurde ich auf das Mikrofon losgelassen.“

Aber nicht nur als Sprecher, auch als Sänger ist Linus Kraus aktiv – nicht nur privat, auch in der Werbung. Wer kennt nicht das „Bikemax“-Jingle aus der Radiowerbung, oder den Kellogg’s-Song „Die wecken den Tiger in dir“? Und auch wer ihn nicht aus einschlägigen Werbesports kennt, hat doch das Gefühl, seine Stimme schon mal gehört zu haben. „Ich habe das große Glück die Vielseitigkeit als mein Aushängeschild zu haben und kann so viele unterschiedliche Projekte in Angriff nehmen. Vom Rumblödeln bis seriös!“, freut sich der Wahl-Mainzer. Dennoch sieht er sich als „eine von 2000 Stimmen in Deutschland, die irgendwo Mist erzählt,“ und ist froh, dass er nicht an der Supermarktkasse erkannt wird. „Ich mache doch auch nur meinen Job!“

Neben vielen Sprecheraufträgen konzipiert und produziert Linus Kraus Werbetexte selbst. „Ich kenne die Werbewelt von beiden Seiten. Das macht die Arbeit deutlich einfacher.“ Er weiß worauf es ankommt. Dafür baut er seit zwei Jahren ein eigenes Studio in seinem Keller, sodass der frischgebackene Vater künftig auch mehr von zu Hause arbeiten kann. „Mein erstes ‚Studio‘ war ein umgebauter Schlafzimmerkleiderschrank. Da entstand der Wunsch irgendwann einmal ein richtiges, eigenes Studio zu haben.“ Mit dem Wiesbadener Studio „Klangbezirk“ habe er trotzdem ein Lieblingsstudio; denn, so weiß Kraus aus Erfahrung, ein Sprecher könne immer nur so gut sein wie sein Studio. Seine Entscheidung, das Studium niederzulegen und als Sprecher zu arbeiten bereut Linus Kraus in keiner Minute. „Es ist schon verrückt,“ reflektiert er, „früher habe ich in der Schule fürs Quatschen haue bekommen, heute bekomme ich Geld dafür.“

 

http://www.wiesbadener-tagblatt.de/region/wiesbaden/meldungen/11773491.htm

 

 

 

Starke Stimmen braucht das Land

„Es gibt keinen Grund den Atem bewusst zu ändern,“ tönt die Stimme beruhigend von der CD.

„Mein Körper wird von Ruhe durchströmt und wandelt den Strom der Ruhe in Kraft um.“

Dem Sprecher lauschend liegen zwölf Schüler der Schauspielschule Wiesbaden dicht nebeneinander gedrängt auf leuchtend blauen Gummimatten. Sie atmen tief ein und aus, sie hören in sich und folgen ihrem Atem durch den Körper. Nichts in dem kleinen, kahlen Unterrichtszimmer lenkt ab von der inneren Ruhe und Ausgeglichenheit, welche die Schüler als Vorbereitung der Sprechübungen erlangen. Dozentin und Logopädien Martha Fischbach erklärt, weshalb Entspannungsübungen so wichtig für die Stimme und das Sprechend sind: „Die Schüler müssen lernen die physiologischen Erfahrungen zu nutzen. Denn durch Regeneration gewinnt die Stimme an Stärke und ermüdet nicht so schnell.“ Starke Stimmen, genau die brauchen die jungen Schauspielanwärter. Während der zweistündigen Unterrichtseinheit geht Martha Fischbach neben dem Rahmenprogramm der Sprechausbildung auch auf individuelle Probleme ein. So muss hat Nachwuchsschauspieler Tobias im Rahmen der Vorbereitungen auf eine Rolle festgestellt, dass ihn die geforderte Sprechweise seiner Figur stimmlich sehr belastet. „Nach den Proben bin ich immer drei Tage heiser. Was kann ich machen, damit ich drei Vorstellungen hintereinander unbeschadet durchlebe?“ Als er beginnt in der rollenspezifische Stimmlage zu sprechen erkennt die Dozentin sofort die Problematik: „Wenn du so sprichst werden deine Stimmbänder ungewöhnlich weit gedehnt, dadurch entsteht Anstrengung die sich nachträglich stimmlich bemerkbar macht.“ Ein paar Atemübungen später klingt die Stimme des jungen Mannes bereits weniger angestrengt und er bedankt sich bei Martha, denn die Schüler duzen ihre Lehrer.

Bildhafte Beschreibungen zur Unterstützung der eigenen Körper- und Stimmwahrnehmung helfen die geforderten Übungen umzusetzen. Umschreibungen wie „dehnt Eure Stimmbänder aus wie Hängematten,“ oder „findet Euren Stimmbahnhof“ provozieren ein gewisses Bewusstsein und auch Sicherheit im Umgang mit der eigenen Stimme. „Die Stimme ist ein einzigartiges Instrument,“ erläutert Martha Fischbach, „der Körper aber als Resonanzraum genauso. Beide müssen im Einklang miteinander agieren um das gewünschte Ergebnis zu erzielen.“  Sogleich wird der kleine Raum von einer enormen Vibration erfüllt. Der Boden scheint zu schwingen, denn zwölf auf dem Boden liegenden Menschen summen klangvoll stimmhafte Laute wie [s] und [w]. Die bildliche Umschreibung Fischbachs lautet: „Die Eisenbahn fährt von unserem Stimmbahnhof in der Nähe des Steißbeins aus langsam in den Raum hinter Nase.“ Sie fügt helfend hinzu: „Wenn es anders klingt als sonst, ist etwas angespannt. Lasst alles locker und hört tief in euch hinein.“ Neben dem Phonetikunterricht, der ebenfalls für die Schüler der Semester eins bis drei in der sogenannten „Basisschulung“ stattfindet, erfahren sie hier im Sprechunterricht den praktischen Umgang und Einsatz der Phonetik, also der Lehre Laute , und speziell dem Feld der artikulatorischen Phonetik.

Man könnte meinen, die Schauspielschülerinnen und Schüler lernen bei Martha Fischbach das Sprechen neu. Denn, so wird an diesem Tag deutlich, beinhaltet mehr als der bloße Ausdruck von Worten. Zu den artikulatorischen Eigenschaften des Sprechens zählen unter anderem die Formung der Lippen bei der Artikulation bestimmter Vokale, oder auch das Bewusstsein jedes Einzelnen wo ein Laut gebildet wird. Auch die unterschiedliche Lautempfindung wird in Einzelübungen behandelt. Der Laut [i] so erfahren die jungen Schauspieler wirkt als stimmliches Koffein, wecke das Gehirn und stimuliere Körper und Geist. Der Laut [a] hingegen helfe in Stresssituationen und diene zur Beruhigung und Entspannung des Körpers.

Zum Abschluss der Sitzung wird verglichen: Wie klinge ich im Vergleich zum Beginn der

Einheit ? Wie ist meine

Stimmlage ? Auch diese Reflexion gilt, wie so vieles im Rahmen der Sprechausbildung des Bewusstseins von Körper und Stimme.

Es werden unterschiedliche Empfindungen und Entwicklungen festgestellt. Einig sind sich jedoch alle zwölf Teilnehmer: „Die Stimme sitzt besser!“

Klaus, der Reporter

Es ist wirklich bedauernswert, dass man im Radio sein Gesicht nicht sehen kann.

Wenn Klaus Krückemeyer spricht erzählt nicht nur seine Stimme. Sein ganzer Körper erzählt mit. Der „rasende Radioreporter“  hat im Berufsalltag allerdings nichts als seine Stimme zur Verfügung um die Hörer von etwas zu berichten oder zu überzeugen. „Ich bin ein Befürworter des freien Redens und ein Freund von Momentaufnahmen,“ beschreibt Krückemeyer sein Motto, das vor allem auch Authentizität beinhaltet.

„Wenn ich schreien möchte, dann schreie ich, aber muss das Gefühl dann auch in Worte fassen,“ fährt er fort. Er müsse einen Umschaltimpuls setzen, versucht er dieses Umdenken zu erläutert, damit Mimik und Gestik akustisch nachvollziehbar werden. Dabei gibt es, so erklärt er weiter, „Klaus den Reporter“, der sich wesentlich von Klaus dem Privatmenschen unterscheidet. „Klaus der Reporter ist eine Art Rolle, die ich spiele.“

Klaus der Reporter traut sich alles, macht alles und scheut nichts.

„Mit dem Mikrofon  mache ich alles,“ sagt Krückemeyer. „Alles“ beinhaltet auch einen Krokodilritt oder den Flug mit einer Zwei-Mann-Maschine. „Der private Klaus würde das alles niemals machen,“ gesteht der Reporter lachend, aber er habe gelernt den Schalter umzulegen. „Auf dem Hin- und Rückweg habe ich total Schiss, aber sobald das Mikro an ist, kann ich den in eine gute Reportage umwandeln.“

Nicht primär das Berichten an sich sei seine Tätigkeit, sondern die Fähigkeit „Dinge hörbar zu machen. Man vergisst oft, dass das ein wahnsinniges Werkzeug ist,“ sagt Klaus Krückemeyer und zeigt auf seinen Kehlkopf.

Er hat den Ruf inne der Laute, der Schrille, der Lustige zu sein. Von Kollegen liebevoll „Grobi“ genannt lebt Krückemeyer seinen Beruf hörbar. Oft sei langes Überlegen notwendig, um den Stimmeinsatz zu planen. „Ich will Emotionen transportieren, das Erlebte wiedergeben und habe schließlich maximal zwei Minuten Zeit einen Zuhörer zu begeistern und dafür zu sorgen, dass er nicht abschaltet“, so der 33jährige. Dabei müsse ein Satz schon mal „auf die Zwölf gehen“, damit das hörende Publikum dranbleibt. Da das Medium des Radios lediglich den auditiven Kanal zur Verfügung hat beschreibt der Nordhesse den Entstehungsprozess einer Reportage gleich jenem eines kurzen Hörspiels. „Ich achte sehr viel auf Hintergrundgeräusche und die Atmosphäre,“ sagt er und erinnert sich: „Im Opelzoo bin ich mal 45 Minuten mit meinem Mikrofon hinter einem Esel hergelaufen, nur um ein ‚IA‘ aufnehmen zu können.“

Der private Klaus spricht sehr schnell und trinkt genüsslich eine heiße Schokolade mit Sahne und lacht gerne und viel. Er geht gerne ins Theater und ist in manchen Produktionen am Staatstheater Wiesbaden auch auf der Bühne und nicht nur in den Reihen des Publikums zu finden. „Während der Probenarbeiten kann ich viel experimentieren und viel dazu lernen. Wie laut ist laut? Wie leise ist leise?“, weiß der Reporter. „Im Umgang mit anderen Menschen passe ich meine Stimme oft meinem Gegenüber an,“ erläutert er. „Ich klinge oft albern oder aufgesetzt, aber dieser ‚livige‘ Klang ist mittlerweile ein Wiedererkennungseffekt auf den ich Stolz bin,“ so Krückemeyer, der schon in Kindertagen als „Kasper“ galt. Ob in der Rolle des „Hans im Glück“, als Zirkusdirektor oder im Puppentheater mit Klopapierrollen für dreißig Pfennig Eintritt; der fröhliche Hesse wusste schon früh, wie man ein Publikum unterhält. „Eigentlich war mein Bruder an allem Schuld“, erinnert er sich, „denn ich habe immer seine verrückten Ideen fortgeführt.“ Sein fünf Jahre älterer Bruder war es auch, der noch vor Krückemeyer ein Praktikum im Radio machte und den Jüngeren so den Einstieg offenbarte. „Irgendwann war ich öfter im Sender als im Hörsaal. Da war mir klar, dass ich in diese Richtung gehen muss,“ gesteht er lauthals lachend.

Wenn die Stimme nicht will

„Ich habe alles hier,“ sagt Bruno Accardi und zeigt auf seinen Kopf. Er nimmt sich viel Zeit um diese kurze, aber gefühlvolle Aussage zu artikulieren. Denn Kurzatmigkeit ist eine der Folgen seines Autounfalles im Jahr 1995.

„Ich habe alles hier,“ wiederholt der 42jährige immer wieder und fügt, traurig und wütend zugleich, hinzu: „ aber die Stimme will nicht!“ Seine Logopädin Adelheid Ewen vermittelt, während Accardi seine Aussagen durch Mimik und Gestik unterstützt. Die nach dem Unfall angestellte Diagnose lautet „schwerste Dysarthrie“. „Dabei sind Stimme, Aussprache und Atmung betroffen,“ erläutert Ewen. Seit elf Jahren geht Bruno Accardi einmal pro Woche mit regelmäßigen Pausen zu den Therapiesitzungen. Im Fokus der Behandlung stehen Lesen, Sprechen und Schreiben, um den Atemeinsatz zu schulen. Längerfristig haben Accardi und Ewen ein gemeinsames Ziel gefunden: Verständnis von außen und weniger Anstregung beim Sprechen.

Zu Beginn der Therapie fiel es der Therapeutin oft schwer ihren Patienten zu verstehen. „Als er zur ersten Sitzung erschien konnte er nur ‚si‘ und ‚no‘ sagen,“ erinnert sich Adelheid Ewen an die anfänglichen Schwierigkeiten in der Behandlung des gebürtigen Italieners. „Allerdings sprach er die Konsonanten kaum aus, sodass er sehr schwer zu verstehen war.“

Auch wenn sein Vokabular durch die langjährige Therapie gewachsen ist, fehlen ihm oft, gerade in emotionalen Momenten, die Worte.

Dann greift er zu Stift und Papier und beginnt langsam, aber konzentriert zu schreiben, was er nicht auszusprechen vermag. „Sie müssen nicht schreiben, Herr Accardi, Sie können doch sprechen!“, ermutigt Adelheid Ewen ihren Patienten. Vielleicht ist es die Nervosität, aber Bruno Accardi schreibt viel.

Seine mit Bleistift in Großbuchstaben auf Papier geschriebenen Worte, die zwar nicht genau auf einer Linie angeordnet sind, aber von Mühe und Einsatz zeugen erzählen vom Leben des 42 Jahre alten Mannes. Sie erzählen von seinem Leben vor dem schweren Unfall und den nunmehr 17 Jahren danach. Sie erzählen von fast einem Jahr im Koma, von unzähligen Frakturen und drei Jahren im Rollstuhl.Adelheid Ewen und Bruno Accardi

Auch zu Beginn der logopädischen Behandlung im Jahr 2001 haben Bruno Accardi und Adelheid Ewen viel geschrieben, denn eine andere Form der Kommunikation war kaum möglich.

Die besondere Herausforderung für die Logopädin habe darin gelegen, Fragen zu stellen, die mit „Ja“ und „Nein“ zu beantworten sind. „Es bedarf viel Mühe, Kreativität und Flexibilität für diese Arbeit,“ gesteht Ewen lächelnd, „aber Herr Accardis Wille und seine Motivation motivieren auch mich, für das gemeinsame Ziel zu arbeiten.“

Ein Teilziel auf dem langen Weg zur Rückgewinnung des Sprechvermögens könnten bereits erreicht werden. Den Alltag meistert Accardi selbstständig. Stolz erzählt er: „Ich putze, ich wasche Wäsche, ich koche und gehe einkaufen.“ Seiner Augen leuchten freudig wenn er davon spricht. Lediglich für Behördengänge hat er eine Betreuerin.

Für Adelheid Ewen wird in der Arbeit mit Bruno Accardi immer wieder deutlich, worin für sie der Reiz ihrer Tätigkeit liegt: „Es ist die Herausforderung, mit lebendigen Menschen ein gemeinsames Ziel zu finden, um das Wohlbefinden zu verbessern.“

Vor Bruno Accardi liegen noch viele „Baustelen“, wie die Logopädin es nennt: Druckreduktion, Konzentration und die Laute „ch“, „g“ und „k“ liegen dabei im Mittelpunkt der Therapie.

Für ihn persönlich gibt es da allerdings noch eine weitere Baustelle. Er greift erneut zum silberummantelten Bleistift und schreibt grinsend in Großbuchstaben: „Ich suche eine Frau!“ Nur die „I“s haben einen Punkt.