Ein Freund, ein guter Freund…
„Ein Freund, ein guter Freund, das ist das Schönste das es gibt auf der Welt“. Das wussten schon Hans Albers und Heinz Rühmann.
Und auch Franz „der Kaiser“ Beckenbauer und seine Mannschaftskameraden konnten davon ein Liedchen singen.
Es mag ein Zufall sein, dass die Herren vom Freund im Singular sangen. Das war lange vor meiner Geburt. Eine Frage der Zeit?
Heute wird der Begriff des Freunds beinahe inflationär verwendet. Jedem wird der Stempel des Freundes aufgedrückt, denn es macht oft vieles einfacher.
Von „einem Freund“ berichtet es sich unproblematischer als vom Cousin zweiten Grades der Pultnachbarin während der Schulzeit.
Auch eine große deutsche Zeitung wirbt mit der Frage, ob es nicht an der Zeit sei einen neuen Begriff für „echte Freunde“ zu prägen, da die Zahl der Freunde in sozialen Netzwerken immer weiter ansteige.
Nicht nur ob der Begrifflichkeit erscheint es so, als nähme die Zahl der Freunde immer utopischere Dimensionen an. Freunde – so denn es welche sind – werden gesammelt wie zu meiner Schulzeit Sticker. Denn beinahe jedes Kind, das in den neunziger Jahren seine Schulzeit durchlebte wurde unumgänglich zum Jäger und Sammler. Ob Pokémon Sammelkarten, Diddl Blättern, kleinen Plastikfiguren die „Gogo“ hießen oder eben Stickern – alles wurde in eigens dafür produzierten Sammelalben gehortet und auch getauscht.
Der Trend des Stickersammelns hielt sich allerdings am hartnäckigsten auf den Schulhöfen. Dabei gab es, wie bei Freunden auch, unterschiedliche Wertigkeiten, welche ungeschriebenen Gesetzten unterlagen.
So gab es glitzernde Sticker, die auf eigens dafür vorgesehenen Seiten sorgsam aneinander gereiht wurden und gegen mindestens zwei Aufkleber einer anderen Kategorie eingetauscht werden konnten: Schillernde Persönlichkeiten die das Gesamtbild aufwerten; Bekannte, mit denen man sich schmücken kann. Glitzer-Sticker-Freunde sind solche, die man anruft um am Wochenende feiern zu gehen, oder auch, um sich eigene Vorteile zu verschaffen. Man teilt mit ihnen nicht viel, außer der puren Lust am Leben und höchstens noch ein Fläschchen Sekt.
Dann gab es da noch die flauschigen Aufkleber, meistens mit Kätzchen- oder Bärchen-Motiven, die nicht besonders schön waren, aber doch war es angenehm ab und an darüber zu streicheln und sich der weichen Oberfläche zu erfreuen.
Kuschel-Sticker-Freunde braucht man nicht, aber es ist doch gut sie zu haben. Meistens sind sie in langjährigen Beziehungen und oft treten sie lediglich paarweise auf. Mit ihnen geht man Kaffee trinken und lässt sich fallen in ihrer weichgespülten Welt ohne Probleme, ohne Skandale und ohne Sorgen.
Aber auch Reliefsticker durften im Repertoire des Albums nicht fehlen. Sammelobjekte die sich nicht nur haptisch von der glatten Oberfläche des bunten Albums abhoben. Man konnte sie anfassen und befühlen . Sie hatten Ecken und Kanten aber vor allem eines: Profil.
Auch wenn diese Rubrik weit weniger aufregend und glänzend schien als ihre glamourösen Konkurrenten, so waren sie doch von erheblichem Wert. Denn ob ihrer Größe füllten sie nicht nur rasch das Sammelalbum, sondern stießen – nicht nur physisch – hervor. Der vorgegebene Platz reichte für drei, höchstens vier Stück ihrer Art, aber doch erfüllte es den routinierten Stickersammler mit Freude und Stolz, solche Prachtexemplare in seinen Reihen zu wissen.
Ein Freund mit Profil, einer der sich von der glatten Oberfläche der Masse abhebt und für seinen „Besitzer“ von ganz persönlichem, individuellen Wert ist, ist ebenfalls ein wahres Prachtstück, welches man, im Idealfall, niemals eintauscht, geschweige denn ganz aus den Augen verliert.
Diesem , und allein diesem, gebührt in meinen Augen der Titel „bester Freund.“
Einen solchen zu finden ist oft nicht leicht, aber wenn man ihn dann gefunden hat, möchte man ihn nie wieder missen.
Während als junger Sammler meist die Masse der zum Tausch zur Verfügung stehenden Objekte zählt, erkennt der Erfahrene, dass die Qualität das entscheidendere Merkmal ist.
Über Freundschaft gibt es allerlei wissenschaftliche Studien.
Eine besagt, dass Frauen einen vornehmlich weiblichen Freundeskreis um sich scharen, während Männer überwiegend Jungs zu ihren Freunden zählen.
Eine weitere weiß, dass keine Freundschaft stärker ist, als eine reine Männerfreundschaft und dass Frauen mindestens eine beste Freundin haben, mit der sie alles teilen. Und eine weitere Theorie, diese propagiert der Volksmund, ist sich sicher, dass eine platonische Freundschaft zwischen Männern und Frauen zum Scheitern verurteilt ist, denn, so wird argumentiert, einer von beiden verliebt sich in den anderen und damit sei die Freundschaft vorbei. Man gehe sich fortan aus dem Weg und käme nie wieder auf die freundschaftliche Ebene zurück.
Um ehrlich zu sein: In meinen Augen sind all diese Feststellungen Humbug; denn, wer mich kennt weiß, dass ich sie widerlege. Abgesehen von der Intensität einer wahren Männerfreundschaft, denn ich bin nun mal eine Frau.
Mein bester Freund ist männlich; acht Jahre älter und neun Zentimeter größer als ich; Kumpel, Tränchen-Ttrockner und Stilberater in Personalunion; und: wir waren nie ineinander verliebt.
Gesucht und gefunden!
Er ist für mich der Sticker, der mein Album des Lebens ausfüllt und wenig Platz für andere lässt. Er ist jenes Prachtexemplar, das ich niemals eintauschen möchte und der lebendige Beweis dafür, dass Freundschaft keinen Normen unterliegt.
Ich persönlich sammle lieber gemeinsame Erinnerungen, schöne Momente die ich teile, aber nicht tausche. Vielleicht packe ich diese irgendwann in ein Album, nur um sie bei Gelegenheit gemeinsam anzusehen und sich zu erinnern.
Denn: „ein Freund bleibt immer Freund, auch wenn die ganze Welt zusammenfällt.“