Countdown mit Puderwolke

Um 18 Uhr herrscht bereits aufgeregtes Treiben in den Gängen des Kleinen Hauses am hessischen Staatstheater, obwohl die Vorstellung erst um 19.30 Uhr beginnt. „Jeder hat hier vor Vorstellungsbeginn seine Rituale,“ erzählt Jugendclubdarsteller Jan Diener während er gekonnt mit einem Pinsel Schattierungen in sein Gesicht zaubert. „Wir Männer schminken uns selber, die Mädels selbstverständlich auch. Dafür haben wir einen Maskenworkshop bekommen,“ erläutert Andreas Kauen das Schminkprozedere. Während die letzten Puderwolken auf bärtigen Gesichtern verteilt werden, betritt ein weiterer Darsteller suchend die Garderobe : „Wo sind meine Socken?“ Darauf folgt von Ensemblemitglied Benjamin Geipel lediglich eine Gegenfrage: „Und wo ist überhaupt mein Schwamm?“ Unterdessen läuft Darstellerin Christina Blum mit einem zu bügelnden Kleid und pinkfarbenen Papilotten auf dem Kopf über den Korridor. „30 Minuten müssen die drin bleiben, damit die ‚Gladys-Frisur’ entstehen kann,“ berichtet die 23jährige. Zur Routine eines Theaterabends beim Jugendclubtheater gehört auch die Kontrolle aller Kostümteile und Requisiten. Hauptdarstellerin Karen Müller, die an diesem Abend in der Rolle von „Babe Williams“ in „The Pyjama Game (Picknick im Pyjama)“ auftreten wird, kommt frisch frisiert und geschminkt aus der Maske um ihre Gebrauchsgegenstände bereitzustellen. Darunter ist auch ein Ablaufplan all ihrer zu spielenden Szenen „Sicher ist sicher!,“ stellt sie motiviert fest.

Zum Sicherheitsgefühl gehört für sie auch, spätestens um 19.20 Uhr, zehn Minuten vor Vorstellungsbeginn ihr Kostüm zu tragen und kurz bevor der erste Vorhang hochgeht nochmals die Einstiegsszene durchzugehen. „Das ist alles Kopfsache!“, sagt sie und verschwindet hinter den Bühnenstellwänden um sich von einem der unzähligen Techniker einen Mikroport anbringen zu lassen. Der anschließende Soundcheck verläuft reibungslos und alle Weichen scheinen gestellt für eine gelungene Wiederaufnahme der Produktion, die im September vergangenen Jahres Premiere feiern durfte.

Während die Band die Ouvertüre spielt ist aufgeregtes „Toi,Toi,T oi-Geflüster“ zu hören und hier und da werden noch schnell Schrittfolgen der Choreografien wiederholt. Hinter den meterhohen Stellwänden des Bühnenbildes geht es allerdings weniger strukturiert vor. Als ein Beleuchter fast seine Taschenlampe auf die Bühne fallen lässt und durch dessen Stolperschritte ungewöhnlicher Lärm im Bühnenbereich zu hören ist, wird von Seitenausgang zu Seitenausgang wild gestikuliert, um die Geschehnisse zu schildern und deutlich zu machen, dass glücklicherweise nichts passiert ist.

Kaum erlischt im Anschluss an den hörbaren Zwischenfall das Licht zum Lied „A new town is a blue town“, gesungen von Daniel Kegler als Sid Sorokin, schwärmen die Ensemblemitglieder aus um den Bühnenumbau vorzunehmen. Nähtische werden herausgetragen und gegen eine Treppe in Zigarettenschachteloptik ersetzt.

Da in der folgenden Szene auf der Bühne geraucht werden soll sind neben den unzähligen Menschen im Hintergrund dieser Produktion ebenfalls Feuerwehrmänner anwesend, welche das gesamte Stück an Monitoren verfolgen um im Ernstfall eingreifen zu können.

Sobald das Stück läuft, ist an aktives Intervenieren seitens der Regisseurin Iris Limbarth allerdings nicht mehr zu denken. So sind kleinere „Patzer“ durchaus an der Tagesordnung. „Aber die sind meistens nur für uns zu erkennen,“ sagt Benjamin Geipel, „das Publikum kriegt es selten mit.“

Oft ist es dann schwer die Haltung zu waren und nicht wortwörtlich aus der Rolle zu fallen. Darstellerin Charlotte Katzer beispielsweise ergeht es so, als ihr während einer Tanznummer das Kleid reißt. Und auch ihre Mitspielerinnen können sich das Lachen nur schwer verkneifen. Contenance wird dennoch bewahrt und das Kleid schnell von einer der Ankleiderinnen ausgetauscht, als Katzer die Bühne verlässt.

Schnelle Reaktionen und die Koordination von Umzügen sind wichtiger Bestandteil eines reibungslosen Ablaufes.

Während das gesamte Ensemble schon im Galaoutfit auf den Auftritt zu „Hernando’s Hideaway“ wartet, kommt Tim Speckhardt hektisch von der Bühne geeilt um kurz darauf im Smoking zu erscheinen. Auch Hauptdarstellerin Karen Müllers Umzug zum Finale muss schnell gehen. Von den Armen ihres Spielpartners Daniel Kegler springt sie unmittelbar in die Arme der Ankleiderin, die in Windeseile den Kostümwechsel vollzieht.

(http://www.wiesbadener-tagblatt.de/region/wiesbaden/meldungen/11143686.htm)

  1. No trackbacks yet.

Hinterlasse einen Kommentar